Die Offenbarung des Johannes gehört zu den rätselhaftesten und zugleich kraftvollsten Schriften der Bibel. Sie ist voll von Bildern, Zahlen, Engeln, Drachen, Blitzen und Visionen vom Ende der Welt – oder besser: vom Ziel der Geschichte. Viele Leser schrecken vor diesem Buch zurück. Andere verlieren sich in wilden Deutungen. Beides ist verständlich – aber beides wird dem Buch nicht gerecht.
Ich möchte hier einen Weg anbieten, die Offenbarung so zu lesen, wie sie gedacht ist: als Zeugnis für Jesus Christus, als Trost für bedrängte Christen und als Einladung, mit Hoffnung zu leben – nicht in Angst und nicht in Spekulation.
Dazu vorweg meine fünf Grundsätze für die Auslegung:
1. Biblisch verankert
Ich lese die Offenbarung als Teil der Heiligen Schrift, also als Wort Gottes. Sie ist kein Fantasiebuch, kein früher Science-Fiction-Roman und kein verschlüsselter Protest gegen Rom. Sie will etwas Wahres sagen über Gott, über Christus und über seine Gemeinde – in der Sprache von Bildern, Symbolen und Visionen.
Wer sie nur als historischen Text oder nur als Zukunftsprognose liest, verfehlt ihren Kern. Sie ist Gottes Wort an seine Kirche, damals wie heute.
2. Christuszentriert
Nicht das Tier steht im Mittelpunkt. Nicht das Gericht. Nicht der Weltuntergang. Im Zentrum der Offenbarung steht Jesus Christus – das Lamm, das geschlachtet ist und lebt (Offb 5,6). Alles, was geschieht, spielt sich um ihn herum ab. Er öffnet die Siegel. Er richtet. Er rettet. Er regiert.
Die Offenbarung ist ein Buch über das Lamm auf dem Thron – nicht über Katastrophen, sondern über den Sieg Christi über alle Mächte der Finsternis. Wer die Offenbarung liest, soll nicht erschrecken, sondern Christus erkennen – und ihm vertrauen.
3. Symbolisch, nicht spekulativ
Die Offenbarung ist voller Bilder: Drachen, Hörner, Reiter, Siegel, Städte, Zahlen. Sie nennt sich selbst ein Buch mit Zeichen (griechisch: σημεῖον, vgl. Offb 1,1). Diese Zeichen sind nicht wörtlich gemeint, sondern symbolisch. Sie drücken geistliche Wahrheiten aus, keine technischen Zukunftsdetails.
Ein Drache ist ein Drache – aber er steht für mehr. Die Zahl 666 ist mehr als eine Rechenaufgabe. Babylon ist nicht nur eine Stadt, sondern ein Bild für ein gottfeindliches System. Wer zu viel aus diesen Bildern machen will, verfehlt sie. Wer sie zu wenig ernst nimmt, auch.
Die Bilder der Offenbarung öffnen geistliche Augen, sie wollen nicht entschlüsselt, sondern verstanden werden – in der Tiefe, nicht in der Sensation.
4. Historisch-kritisch informiert, geistlich ausgerichtet
Die Offenbarung wurde wahrscheinlich um 95 n. Chr. geschrieben, auf der Insel Patmos, unter römischer Herrschaft. Christen lebten unter zunehmendem Druck: vom Staat, vom Umfeld, vom inneren Zweifel. Die Offenbarung spricht hinein in diese Zeit – mit Worten der Warnung und des Trostes.
Ich beziehe diese Hintergründe ein. Ich achte auf Aufbau, Sprache, literarische Formen. Aber ich bleibe dabei: Die Offenbarung ist keine politische Analyse, sondern eine geistliche Botschaft, die in Bildern zeigt, dass Christus herrscht – auch wenn es nicht so aussieht.
5. Verständlich und seelsorgerlich
Ich schreibe nicht für Theologen, sondern für Menschen, die mit der Bibel leben wollen. Für Gläubige, die fragen:
– Was will mir Gott durch dieses Buch sagen?
– Wo finde ich Halt in unsicherer Zeit?
– Wie bleibe ich Christus treu, wenn um mich herum alles zerbricht?
Die Auslegung soll begleiten, nicht belehren. Sie soll helfen zu hören, was der Geist den Gemeinden sagt – damals und heute. Sie soll Mut machen, im Glauben standzuhalten, auch wenn Babylon noch nicht gefallen ist.
Einladung
Die Offenbarung ist kein Buch, das man „verstehen“ muss wie eine mathematische Formel. Sie ist ein Buch, das man hören darf – wie ein Lied, wie ein Gebet, wie eine Vision von dem, was Gott verheißt.
Sie ist ein Ruf zur Treue. Ein Trost in der Bedrängnis. Eine Hoffnung auf das, was kommt.
„Siehe, ich mache alles neu“ (Offb 21,5) – das ist ihr Ziel.
Wenn Sie möchten, begleite ich Sie Stück für Stück durch dieses Buch. Ohne Sensation, aber mit innerem Ernst.
Denn das Lamm regiert. Und es redet auch heute.
Beitragsbild: Johannes auf Patmos