Luther auf dem Reichstag zu Worms Anton von Werner, 1877 (Replik nach dem Original von 1870) Öl auf Leinwand 66 × 125 cm Staatsgalerie Stuttgart

Hat Luther die Deutschen gespalten?

Bis heute wird von katholischer Seite immer wieder behauptet, dass Luther die Deutschen gespalten hätte. Dazu schreibt Hellmut Diwald in seiner lesenswerten Lutherbiographie folgendes:

Luther sah niemals in seiner evangelischen Lehre und im Protestantismus eine Bewegung, die gegen das Reich gerichtet war. Der Vorwurf, Luther hätte den Glauben und die Kirche gespalten, trifft nur unter römisch-katholischen Voraussetzungen zu. Nimmt man die politisch-religiöse Lage im Inneren des Reiches als Maßstab, so hatten sich 1546. im Todesjahr Luthers, schon weit über drei Viertel der Deutschen zum Protestantismus bekannt, und 1555, als der Augsburger Religionsfrieden vereinbart wurde, waren neunzig Prozent Deutschlands protestantisch. Luther brachte den Deutschen nicht nur die Bibel, nicht nur ihre Sprache und damit ihr Eigenbewußtsein, er brachte ihnen auch mit seiner Lehre ihre Einheit, weckte auf der Grundlage des evangelisch-deutschen Glaubens und Gemeindelebens ihre selbstsichere Überzeugung, auch politisch zusammenzugehören. Die Spaltung des Reiches hat Luther weder beabsichtigt noch zu verantworten. Sie ist die politische Folge der vom Konzil von Trient und der katholischen Reform ausgelösten militanten Bewegung, die vom Protestantismus als Gegenreformation bezeichnet wurde. Den dramatischen Gegensatz zwischen den römischen Katholizismus und dem deutschen Protestantismus – und dann dem dänischen, schwedischen, finnischen und allen übrigen nationalen – hat Luther nicht erfunden und in die Welt gesetzt, sondern die religiösen Bedingungen der Glaubensspaltung sind in der Verfassung und dem Zustand der Kirche zwischen dem Konstanzer Konzil (1414-18) und dem Thesenjahr (1517) zu finden. Darin sind sich die nüchtern urteilenden Katholiken mit den Protestanten einig. Immerhin ist die römisch-katholische Kirche, sofern sie die Schuld der Spaltung in gelegentlichen Äußerungen Luther weiterhin anlastet, trotzdem durchaus bereit, sich ihm zumindest als Anlaß für die eigene innerkirchliche Reform verpflichtet zu fühlen.

Diwald, Hellmut: Luther. Eine Biographie. Gustav Lübbe Verlag, 1982, S.361-362



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