Die Seligpreisung der Armen im Geiste, als Glasfenster dargestellt in St. Dionysius und Sebastian, der Pfarrkirche in Kruft

Die Bergpredigt eine Auslegung des Gesetzes im Geist

1. Predigt

Der widersinnige Weg zur Seligkeit.

Eine Predigt von Martin Luther über Matthäus 5, 1-10. (WA 9, 416-419)


Dies ist das Evangelium, aus dem man die acht Seligkeiten genommen und mit ihnen in der Beichte die Mühseligen und Beladenen getröstet hat. Desgleichen zieht man auch aus einer ähnlichen Stelle [Jes. 11, 2] die sieben Gaben des Heiligen Geistes.

In Wahrheit aber ist es eine Auslegung aller Gesetze, die schon gegeben sind und noch je gegeben werden können. Denn Christus fand zu seiner Zeit solche Gelehrten, die alle Schrift äußerlicherweise verstanden; Christus aber lehrt, wie alles geistlich zu verstehen sei. Desgleichen predigt auch Paulus überall den Geist. Desgleichen nennen die Propheten selig den, in dessen Geist keine Sünde erfunden wird. So auch Christus, da er das Gebot behandelt „Du sollst nicht töten“ verbietet den Zorn; und da er das Gebot behandelt „Du sollst nicht ehebrechen“, lehrt er, dass man auch nicht ein Weib begehren soll; desgleichen beim Eid, wie man überhaupt nicht schwören soll.

So hebt er denn an: selig sind die Armen; Matthäus fügt hinzu: die Armen im Geist. Dreierlei sind die Armen.

Erstlich solche, die äußerlich, leiblich und an Gütern arm sind, ohne ihren Willen und vor den Menschen, nicht vor Gott.

Zum andern solche, die reich sind an Gütern, aber einen Geist haben, der um Gottes willen zu allem ganz bereit ist und nicht nach den Gütern schielt. Solche haben, als hätten sie nicht, stellen alles in Gottes Hand und sind bereit, es zu verlieren, ohne Leid zu tragen. So war Hiob, da er Gott dies Liedlein sang: Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen, der Name des Herrn sei gelobt! Er hat nicht gesagt: der Teufel hat’s genommen. So sind wir arm im Geist.

Viel schwerer aber ist der Verzicht auf die Güter bei Gütern der Seele und bei den geistlichen Menschen. Denn wer also begabt ist, auch der muss einen solchen Geist haben, dass er arm im Geist ist, nicht steif an jenen Gütern hangt und sie sich nehmen lässt, ja, wenn sie auch niemand ihm nimmt, dass er sie doch sich selber nimmt und zu Gott hinträgt und sie nicht seinem eigenen Namen dienen lässt.

Zum Dritten solche, die äußerlich und innerlich arm sind, die Güter weder haben noch begehren.

Der Juden Regel war nun die, dass die Guten das Land besitzen sollten, da Milch und Honig fließt, und dass sie so durch den Zufluss der Güter-würden selig sein. Christus aber kehrt es um, wie er zu tun pflegt, und treibt zur Armut die, die einmal bei Gott reich sein sollen, so wie er auch demütigt, die einmal erhoben werden, und tötet, die einmal geheilt werden sollen.

Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen. Die Sucht zu herrschen ist allen Menschen von Natur her eingepflanzt. Daraus fließen viele Übel: Nachstellung, Feindschaften, Kriege, Morde. Gleichwie auch einst die Juden Länder und Völker erobert, wenn auch niemals mit Glück, wenn sie nicht durch die Hand Gottes kämpften. Dies kehrt Christus an dieser Stelle völlig um: nicht durch Kämpfen, sondern durch Sanftmut soll man die Herrschaft über die Güter erlangen, wie auch David spricht [2. Sam. 22, 36]: meine Sanftmut hat mich reich gemacht. Gleichwie ein Magnet zieht diese Tugend die Sinne der vielen zusammen, so dass die Untertanen ihre Fürsten lieben und nicht fürchten.

Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden. Wenn wir nun Reichtum und Macht erlangt haben, so fehlen doch noch Lust und Freude, um selig zu machen. Auch die soll man auf die gleiche Weise suchen wie Reichtum und Macht, nämlich auf gänzlich widersinnige Weise. Was nun die finden, die Lust und Freude auf irdische Weise suchen in Gelagen und Verkehr mit den Frauen, das sehen wir vor unseren Augen: Überdruss und Reue. Durch Tragen also und Abstehen d.h. durch gänzliches Sichabwenden von Lust und Freude und Ertragen des harten Widerspieles, — dadurch kommen Trost und wahre Freude in uns hinein.

Selig sind, die da hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit. Dies letzte Wort tut Matthäus über Lukas hinaus dazu um des geistlichen Verständnisses willen, gleichwie Matthäus auch „arm im Geist“ sagt, wo Lukas nur der Armen Erwähnung tut. In gleichem Sinne spricht Christus auch, die Pharisäer fasteten nur nach dem äußeren Ansehen und allein leiblich. Christus lehret also anders fasten, nämlich ohne Aufhören, doch im Verborgenen, d.h. dass man auch bei reichlichen Mahlen sich doch heimlich enthält und lieber mit einfachen als mit ausgesuchten Dingen sich sättigt und die Lust zum Essen etwas am Zügel hält. Denn wer sollte auch das Fasten derer gutheißen, die an einigen Tagen fasten und sonst die Schlimmsten sind mit Fressen und Schlemmen.

Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen. Wenn wir nun reich und mächtig und mit Lust erfüllt und satt sind, so fehlt noch, dass solche Güter von uns zu unsern Nächsten fließen. Hievon sind die Wucherer fern. Der erste Brauch der Güter ist: dem geben, der bittet [Matth. 5, 42]. Der zweite Brauch ist: sich nicht abwenden von dem, der dir abborgen will [Matth. 5, 42]. Der dritte Brauch ist: den Rock auch lassen dem, der dir den Mantel nimmt [Matth. 5, 40]. Das ist der dreifache Brauch der Güter bei den Christen.

Zum ersten Brauch: verkaufen und kaufen sind heidnische Dinge, bei den Christen aber ist alles gemeinsam. Aber doch ist auch bei den Juden, so kalt sie auch waren, durch göttlichen Befehl kein Bettler geduldet worden, sondern jeder sollte seine Armen erhalten; das wäre auch heute leicht zu machen, wenn jede Stadt ihre eigenen Armen versorgte. Zum zweiten Brauch: die den nicht wollen oder nicht ohne Zins abborgen, die sind gewisslich ganz schlecht und schändlich. Zum dritten Brauch: dagegen sündigen die, die Gewalt nur mit Gewalt vertreiben wollen, die Streitsüchtigen, die das Unrecht der Streitereien und Händel weitertreiben, zumal die Juristen.

Doch muss man dies Gebot auch auf den Geist ziehen: da geht es gegen die gestrengen Heiligen, die sich selber als die Gerechtesten erscheinen und Eiferer des Gesetzes sind und keine Ungerechtigkeit an anderen tragen können, da doch vielmehr verziehen und vergeben werden sollte allen, die uns nicht gefallen, damit auch wir von Gott Barmherzigkeit erlangen könnten.

Selig sind, die reines Herzens sind, denn die werden Gott schauen. Was ist ein reines Herz? Etliche wollen Gott schauen und suchen, indem sie hinaufsteigen, sinnen hohe Dinge und sind gelehrt, da man doch viel mehr in die Tiefe streben soll, wie Gott selber tut, der über den Cherubim sitzt und sieht in den Abgrund [Gesch. der drei Männer im Feuerofen B. 31]. Darum soll man Gott in den Elenden, Irrenden und Mühseligen suchen, auf die auch er selber siehet: da schaut man Gott, da wird das Herz rein und aller Hochmut liegt darnieder.

Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Gottes Kinder heißen. Die Friedfertigen sind die, die Friede machen, die nicht zufrieden sind, wenn sie selber Gott schauen und im Frieden sind, wenn sie nicht auch andere dahin führen. Aber es ist nicht genug, mit Worten die Uneinigen zu versöhnen, sondern viel besser ist, dem traurigen Herzen mit Trost und Lehre Frieden zu geben und es mit Gott zu versöhnen. Dagegen handeln nun alle jene gewaltigen Lehrer, die die Armen nur erschrecken und mit schweren Lasten beladen.

Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen Verfolgung leiden, denn ihrer ist das Himmelreich und ihr Lohn ist groß im Himmel. Das ist die Summa von allem, dass die Seligen von allem Elend frei sind, aber dennoch in diesem Leben nur den Lohn empfangen, dass sie bei der Welt übel berüchtigt sind und zu Unrecht angegriffen werden.


Zusammenfassung

Luther betont, dass wahre Armut im Geist nicht nur äußeren Besitzverzicht bedeutet, sondern eine innere Haltung der Demut und Bereitschaft, alles Gott zu überlassen. Christus kehrt die weltliche Sicht auf Macht, Reichtum und Freude um, indem er Sanftmut und geistliche Armut als wahre Tugenden preist. Die Friedfertigen und Verfolgten sind gesegnet, da sie wahre Kinder Gottes sind und ihren Lohn im Himmel finden.


Beitragsbild: Die Seligpreisung der Armen im Geiste, als Glasfenster dargestellt in St. Dionysius und Sebastian, der Pfarrkirche in Kruft



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